Gestern Abend habe ich einem Vortrag von Dr. Bernd Liebendörfer zum 80. Todestag von Dietrich Bonhoeffer besucht. Nicht nur der Todestag bietet Anlass, sich mit ihm zu auseinanderzusetzen, auch die 2011 erschienene Biografie von Eric Metaxas und der dadurch inspirierte Film von Todd Komarnicki von 2024 beschäftigen gerade die Öffentlichkeit. Dadurch wurde ich an die Zeit erinnert, in der ich zunächst das Buch „Widerstand und Ergebung“1 gelesen habe. Das war in einer Zeit, in der ich sehr aktiv in der evangelischen Jugendarbeit war.
Mich hat damals die Geradlinigkeit und die Werteorientierung von Bonhoeffer beeindruckt. Insbesondere als junger Mensch hat ein solches Vorbild eine große Wirkung. Die Briefe aus dem Gefängnis und die Aufrichtigkeit, die sich in ihnen widerspiegelt, hatten eine außerordentliche menschliche Größe, insbesondere wenn man sich in die Situation von Bonhoeffer einfühlt – frisch verlobt, verbunden mit der Familie, Freunde und Mitstreiter konkret durch die Festnahme bedroht oder schon im Gefängnis. Wenn ich heute seinen Klassiker „Von guten Mächten“ singe, blitzt dieser Gedanke an die Gefängnissituation von Bonhoeffer noch immer in mir auf.
Bonhoeffer hat leidenschaftlich die Jugendarbeit und den Konfirmandinnenunterricht in seinen Gemeinde betrieben. Das Seminar in Finkenwalde stellte ich mir damals – ich war in dieser Zeit auch zweimal in Taizé – als Mischung aus Klosterleben, Universität und Ferienlager vor – ich weiß das klingt naiv, aber damals für mich damals ein sehr attraktiver Gedanke.
Im Vortrag betonte Liebendörfer neben diesem Bezug zur Jugend einen weiteren Aspekt, die fehlende Abgeschlossenheit in seinem Werk. Es gibt Widersprüche in seinen Arbeiten, wie beispielsweise die Positionen im Buch „Nachfolge“ und der späteren, nicht zu Ende geschriebenen „Ethik“. Während in der „Nachfolge“ die kompromisslose Ausrichtung auf Gott gefordert wird – quasi ein unbedingtes Gehorsam gegenüber Gott, nicht gegenüber Hitler – wird in der „Ethik“ die Verantwortung des Christen ausgearbeitet und eingefordert. Die „Nachfolge“ entstand in der Zeit seiner Seminar-Tätigkeit, die Ethik schrieb er, als er schon im aktiven Widerstand tätig war, sicher ein Zugang zu den jeweiligen Positionen.
Diese fehlende Konsistenz seiner theologischen Ansichten und politischen Arbeiten – wie seine Entwicklung hin zum aktiven Widerstand gegen Hitler – führt zu einem Problem. Die Botschaften von Bonhoeffer können von den unterschiedlichsten Gruppen vereinnahmt werden. Es findet sich oft, in verkürzter Sicht eine Bestätigung für die Position der Interpreten. Aber gerade weil Bonhoeffer theologisch, politisch und kirchlich so vielschichtig argumentiert, ist jedes Herauspicken von einer Position ohne den nötigen Kontext eine Verkürzung.
In den USA bemühen sich Evangelikale und Trumpisten darum, Bonhoeffer und die Feierlichkeiten um dem Todestag als Beispiel für den notwendigen Widerstand gegen „ein korruptes System“ zu positionieren. Das ist insbesondere deswegen besonders perfide, weil Bonhoeffer in den USA deutlich bekannter ist und als moralische Instanz gesehen wird. Dass sich die Nachkommen Bonhoeffers gegen diese Vereinnahmung entschieden ausgesprochen haben, zeigt die Gefahren der Verkürzung.
Als Erinnerung an die damalige Wirkung des Buches „Widerstand und Ergebung“ blieb mir insbesondere die Ehrlichkeit, mit der Bonhoeffer sein Zweifeln am richtigen Handeln thematisiert, während er doch richtig handelt. Sein Glaube und seine politische Position wirkten auf mich nicht wie eine äußerliche Ideologie, sondern wie eine tief aus dem Inneren gelebt Überzeugung.
Ich muss das Buch wieder lesen.
- Internet Version der Ausgabe, die ich noch zu Hause habe ↩︎
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