Tages-Kommentare

Kategorie: Gesellschaft

  • Anstandshalber

    Anstandshalber

    In einem Leitartikel in der Zeit hat sich Giovanni Di Lorenzo Gedanken zum Anstand gemacht, der in der heutigen Zeit angesichts des „Trumpismus“ in der Politik immer mehr verloren geht1. Im Artikel beschreibt er, welche Form des Anstandes in der politischen Auseinandersetzung heute besonders notwendig ist.

    „Der Anstand jedoch, den wir heute brauchen, sollte nicht spalten, sondern eher verbinden (…): miteinander sprechen. Die Bereitschaft zuzuhören, gerade wenn einem der Standpunkt fremd ist. Nichts zu versprechen, was man nicht halten kann. Sich zu eigenen Fehlern bekennen. Und, so weit sind wir leider schon, dass man selbst das anmahnen muss, ein Mindestmaß an Benehmen.“

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  • Auf ein Bier mit Herrn Merz…?

    Auf ein Bier mit Herrn Merz…?

    Ich stand gestern mit meiner Tochter an einem Bücherstand, 10€ für 5 Bücher. Ich sollte ihr beim Auswählen helfen. Da fiel uns ein Buch von Harald Martenstein in die Hände. Ich sagte ihr, das könnte interessant sein und wörtlich „Der ist zwar manchmal ein Arschloch, aber man kann ihn trotzdem lesen, ich mag ihn!“. Eine Dame, die meinen Kommentar hörte, drehte sich um und sagte „interessante Charakterisierung“. Es war mir schon etwas peinlich, kam aber aus tiefstem Herzen. Ich gehe davon aus, dass Herr Martenstein Verständnis hätte. Es gehört tatsächlich zu meinem Leseritual, immer auf den ersten Seiten des Zeitmagazins seinen Kommentar zu lesen. Oft regen mich seine Kommentare auf, manchmal auch an und das ist wohl der Schlüssel für meiner Bemerkung am Büchergrabbeltisch. Was hat das nun mit Herrn Merz zu tun?

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  • Verfolgung von NS-Straftätern kurz vor Ende

    Verfolgung von NS-Straftätern kurz vor Ende

    Im Zusammenhang mit meinem letzten Blog zu Dietrich Bonhoeffer passt eine Zeitungsnotiz, die ich vor einiger Zeit gelesen habe, recht gut. Der Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen1 in Ludwigsburg sagte der Osnabrücker Zeitung: „Wir finden immer noch Verdächtige. Aber richtig ist: Wir fahren auf Sicht, wir sind im Schlussbereich der NS-Verfolgung angekommen. Die jüngsten möglichen Täter sind heute 97 Jahre alt, wenn sie im letzten Kriegsjahr 1945 als 17-jährige Teil des Systems geworden sind. Der älteste Verurteilte, den wir zuvor aufgespürt haben, war bei seiner Verurteilung 101 Jahre alt.“

    So verdienstvoll sich die Ludwigsburger Behörde um die Aufklärung bemüht hat, es bleibt bezüglich der Aufarbeitung der NS-Verbrechen ein sehr dunkler Fleck in der politischen und juristischen Geschichte der Bundesrepublik. Der kürzlich aufgearbeitete Fall von Sigfried Uiberreither2 in Sindelfingen, einem ehemaligen Gauleiter, der unbehelligt unter dem Schutz von Behörden und Unternehmen straffrei blieb, zeigt dies deutlich.

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  • Bonhoeffer, gerade jetzt…

    Bonhoeffer, gerade jetzt…

    Gestern Abend habe ich einem Vortrag von Dr. Bernd Liebendörfer zum 80. Todestag von Dietrich Bonhoeffer besucht. Nicht nur der Todestag bietet Anlass, sich mit ihm zu auseinanderzusetzen, auch die 2011 erschienene Biografie von Eric Metaxas und der dadurch inspirierte Film von Todd Komarnicki von 2024 beschäftigen gerade die Öffentlichkeit. Dadurch wurde ich an die Zeit erinnert, in der ich zunächst das Buch „Widerstand und Ergebung1 gelesen habe. Das war in einer Zeit, in der ich sehr aktiv in der evangelischen Jugendarbeit war.

    Mich hat damals die Geradlinigkeit und die Werteorientierung von Bonhoeffer beeindruckt. Insbesondere als junger Mensch hat ein solches Vorbild eine große Wirkung. Die Briefe aus dem Gefängnis und die Aufrichtigkeit, die sich in ihnen widerspiegelt, hatten eine außerordentliche menschliche Größe, insbesondere wenn man sich in die Situation von Bonhoeffer einfühlt – frisch verlobt, verbunden mit der Familie, Freunde und Mitstreiter konkret durch die Festnahme bedroht oder schon im Gefängnis. Wenn ich heute seinen Klassiker „Von guten Mächten“ singe, blitzt dieser Gedanke an die Gefängnissituation von Bonhoeffer noch immer in mir auf.

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  • Nachsicht

    Nachsicht

    Wenn man niemanden hat, der die Regeln für alle durchsetzt, gerät man in die Situation, dass der Regelbrecher die Regeln bestimmt.

    Herfried Münkler in der Rubrik „Was ich gern früher gewusst hätte…“ der Zeit

    Wieviel Nachsicht braucht es in einer Gesellschaft? Regeln als Ordnungshilfe sind darauf angewiesen, das sie eingefordert werden. Im zwischenmenschlichen Miteinander und notfalls auch durch Kontrollorgane wie die Polizei, Ordnungsdienste oder die Schaffnerin in der Bahn. Dazu braucht es die Einsicht in die Notwendigkeit von Regeln. Regeln haben aber ein generelles Problem, sie sind selten flexibel. Die Ampel ist rot, aber es kommt ja kein Auto, also was tun? Der blinde Gehorsam führt in die Diktatur, nur mit der Nachsicht gelingt es, die Gesellschaft mit der notwendigen Flexibilität und Freiheit auszustatten.

    So weit, so richtig. Das obige Zitat zeigt jedoch die Grenze eines solchen Denkens auf. Wenn die Regel vor lauter Toleranz so ausgehöhlt wird, dass sie nicht mehr gilt, werden die Regeln beliebig. Dann wird es zur Regel, jede Regel erstmal auszuhandeln, nachdem sie ignoriert wurde. Das kann im offenen Umgang miteinander vielleicht noch funktionieren. Aber es kostet Zeit und es verschiebt Grenzen immer weiter, bis zum “Anything Goes“.

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  • Politische Positionen als Marketing-Instrument

    Politische Positionen als Marketing-Instrument

    Referenz zum Artikel im Politico

    Die neue Währung im Marketing ist Popularität, oder vielmehr Aufmerksamkeit. Nein, das stimmt so noch nicht für Deutschland, auch wenn hierzulande die Bekanntheit von DSDS und Dschungelcamp genutzt wird, um Produkte oder sich selbst ökonomisch zu platzieren und Influencer mit der Anzahl an Followern an Einfluss gewinnen.

    Während es in Deutschland noch merkwürdig wäre, Christian Lindner in einem Werbespot für die Insel Sylt zu sehen (ausgeschlossen ist das aber keineswegs), sind die USA da schon viel weiter. Dort werden Produkte für MAGA Anhänger direkt gestaltet, nicht erst seit Trump. Das sind nicht nur Kappen und teure Uhren, für die der Präsident seinen wertvollen Namen bereitstellt, sondern sogar Finanz-Anlagen mit der Garantie, nicht in „woke“ Unternehmungen zu investieren. Politisch aktive Personen sind gleichzeitig Unternehmerinnen in eigener Sache.

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  • Helfer-Glück

    Helfer-Glück

    Ich habe einen Artikel im Netz bei theatlantic.com zum Thema Glück gelesen, der mir gut in die Zeit zu passen scheint. Es geht um Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Menschen, die anderen Gefallen tun, selbst glücklicher sind.

    Also ran, haltet Türen auf, lasst anderen an der Supermarktkasse den Vortritt, und seid aufmerksam für jede Situation in der ihr helfen könnt. Kein Zufall, das alle Religionen Hilfsbereitschaft zu einer Tugend erklären. Nicht nur, weil damit das soziale Leben positiv beeinflusst wird, sondern auch, weil es das Lebensgefühl der Helfenden verändert.

  • The Well

    The Well

    Neulich habe ich einen interessanten Podcast zur Kultur im Silicon Valley gehört, und dabei wurde über eine interessanten Vorläufer der sozialen Netzwerke berichtet, The Well.

    Ich finde das insbesondere deswegen interessant, weil in diesem Konzept viele Dinge umgesetzt worden sind, die ich bei der Gestaltung von sozialen Netzwerken wichtig finde. Siehe dazu auch meinen Blog zum Thema Meinungsfreiheit.

    Abo-Gebühr

    Das Netzwerk trägt sich aus Gebühren und Spenden und kommt ohne Werbung aus. Das Geschäftsmodell ist nicht auf Profit ausgelegt.

    Urheber-Recht

    Die Rechte an Wort und Bild bleiben bei den Teilnehmern (You Own Your Own Words – YOYOW), ebenso die Verantwortung für Rechtmäßigkeit und Wirkung.

    Klarnamen

    Man darf sich nicht anonym anmelden, sondern muss seinen eigenen Namen führen.

    Moderation

    Die Gruppen werden streng moderiert und es wird auf einen respektvollen Umgang geachtet.

    Ich überlege ernsthaft, das einfach mal auszuprobieren. Ein interessanter Ansatz als Gegenprogramm. Er passt auch gut zu dem, wie ich meinen Blog hier verstehe.

  • Panik…? Nein, Normalität! Oder doch Panik?

    Panik…? Nein, Normalität! Oder doch Panik?

    In der Zeit gab es letzte Woche einen tollen Artikel über ein psychologisches Phänomen, den sogenannten „normalcy bias“. Es gibt ja eine Menge solcher Modelle, die das manchmal irrationale Verhalten von Menschen zu erklären versuchen. Dieses Modell passt sehr gut in die jetzige Zeit, in der sich alles mit rasender Geschwindigkeit verändert, Grundannahmen über Bord geworfen werden müssen und man sich manchmal fragt, ob das alles noch normal ist.

    Der normalcy bias beschreibt das Verhalten von Menschen in Ausnahmesituationen, die trotz offensichtlicher Bedrohungen versuchen, die Normalität aufrechtzuerhalten. Leider gibt es keine gute deutsche Zusammenfassung und Übersetzung, man kann es mit Normalitätsverzerrung übersetzen.

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