Ich reise beruflich ab und zu international, und dabei begegnet mir immer wieder die „Parallelwelt“, wie sie ein sehr geschätzter Kollege bezeichnet. Ich meine die umspannende Welt der Luxus-Marken, die auf jedem Flughafen gleich ist und in den Metropolen die Shopping-Malls füllt. Dior, Cartier, Burberry, Montblanc und Piaget, Gucci und Tiffany und wie sie noch alle heißen. Ich war jüngst in Taiwan und bin durch die Mall am 101, dem momentan nach Wikipedia elfhöchsten Hochhaus der Welt geschlendert, einer echten Sehenswürdigkeit. Also genau durch diese besondere Welt Auf der Reise habe ich mich auch mit einem Buch zu einer Einführung in die Soziologie1 beschäftigt, und da sind mir einige Gedanken zu der Parallelwelt gekommen.
Zunächst fiel mir auf, dass die Läden immer von gut gekleideten Personen jeglichen Geschlechts bewacht werden. Schon die Auslagen dieser Läden sind eher Machtdemonstrationen als Einladungen zum Eintreten, deshalb verstärkt sich dieser Eindruck des Bewacht-Werdens. Vor einiger Zeit habe ich gelesen, dass Super-Luxus Waren in diesen Läden gar nicht zu kaufen sind. Eine Rolex muss man per Warteliste erstehen, bei Hermes bekommt man eventuell die ersehnte Tasche in einer anderen Farbe ebenfalls erst nach einer langen Wartezeit.
Wenn man sich Zeit nimmt, diese Angestellten genauer zu beobachten fällt auf, dass diese sich zumeist tötlich langweilen, weil die Läden meist relativ leer sind. Sie spielen aber nur selten mit ihren Handies oder sind sonst undiszipliniert, sondern stehen eher wie Soldaten bei Wachparaden professionell herum.
Die Mehrheit der Menschen in der Mall können sich wahrscheinlich die Produkte nicht leisten, und die, die sie sich leisten können, sind wenige und leicht erkennbar, nicht nur daran, dass sie diese Läden betreten. Sie haben schon alle Insignien des Reichtums am Körper. Es ist aber nicht nur das Portemanei, was an der Tür zu diesen Läden für Selektion sorgt, es ist auch die Einschüchterung durch den Setup des Ladens, der die Nichteingeweihten am Betreten hindert.
Warum nun sind solche Läden an Flughäfen und in den hoch frequentierten Malls und Einkaufsstrassen, in unmittelbarer Nähe zu einem Klientel, was sie gar nicht bedienen wollen? Ich glaube, es sind zwei Gründe. Es führt den Wohlbegüterten zum Einen vor Augen, wie besonders sie sind, gerade weil die Läden in einem öffentlichen Raum so abweisend und exklusiv gestaltet sind. Vor dem Eingang von Gucci in der Mall in Taipeh stand ein Angestellter wie ein Türsteher mit verschränkten Armen vor der geschlossenen Tür.
Wie soll man an dem nur vorbeikommen, ohne sein Gesicht zu verlieren? Vielleicht bin ich aber auch zu kleinbürgerlich veranlagt, sollte mich einfach trauen, aber die Vorstellung, von nach edlen Parfümen riechenden Verkaufsassistenten gejagt zu werden, macht mir Angst. Oder noch schlimmer, nicht gejagt zu werden, weil ihr geschulter Blick sofort entdeckt, dass ich mir das alles nie leisten könnte…
Zum Anderen erzeugt es Sehnsucht, jene Celebrity Faszination der Zuschauer, die davon träumen, auch einmal am Gucci-Türsteher mit entspannter Miene vorbeizuflanieren und die Kreditkarte glühen zu lassen. Das gibt dann den so gestalteten Marken eine zusätzliche Bedeutung, macht sie wertvoller und attraktiver. Gleichzeitig separiert es und beruhigt die Zuschauer – „Das will ich doch gar nicht“ – siehe meinen Absatz zuvor.
Soziologisch betrachtet, ist das Ganze wohl eher eine Inszenierung mit ökonomischem Hintergrund, eine paradoxe Verkaufsveranstaltung. Funktional betrachtet sichert es die Schichtung der Gesellschaft in einer kapitalistisch geprägten Demokratie ab. Konflikt-orientiert mildert es die Spannung zwischen Begütert und Weniger-Begütert, weil die Welt der Reichen betretbar oder zumindestens zu besichtigen ist. Interationstheoretisch klärt es die Akzeptanz der eigenen Rolle. Ich bin offensichtlich so sozialiert, dass mein Bedürfnis, in solche Läden zu gehen, gedämpft wurde, weil es meinem Selbstverständnis nicht entspricht. Dieser letzte Absatz entstand beim Reflektieren des Soziologie-Buches… aber ein großer Montblanc Füller wäre schon schön 😉
- Klaus Feldmann: Soziologie Kompakt – liest sich etwas merkwürdig, weniger als Lehrbuch denn als fundierte Sammlung von verschiedensten Positionen, das kann aber auch an dem Fach liegen https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-31450-7 ↩︎
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