Wenn man niemanden hat, der die Regeln für alle durchsetzt, gerät man in die Situation, dass der Regelbrecher die Regeln bestimmt.
Herfried Münkler in der Rubrik „Was ich gern früher gewusst hätte…“ der Zeit
Wieviel Nachsicht braucht es in einer Gesellschaft? Regeln als Ordnungshilfe sind darauf angewiesen, das sie eingefordert werden. Im zwischenmenschlichen Miteinander und notfalls auch durch Kontrollorgane wie die Polizei, Ordnungsdienste oder die Schaffnerin in der Bahn. Dazu braucht es die Einsicht in die Notwendigkeit von Regeln. Regeln haben aber ein generelles Problem, sie sind selten flexibel. Die Ampel ist rot, aber es kommt ja kein Auto, also was tun? Der blinde Gehorsam führt in die Diktatur, nur mit der Nachsicht gelingt es, die Gesellschaft mit der notwendigen Flexibilität und Freiheit auszustatten.
So weit, so richtig. Das obige Zitat zeigt jedoch die Grenze eines solchen Denkens auf. Wenn die Regel vor lauter Toleranz so ausgehöhlt wird, dass sie nicht mehr gilt, werden die Regeln beliebig. Dann wird es zur Regel, jede Regel erstmal auszuhandeln, nachdem sie ignoriert wurde. Das kann im offenen Umgang miteinander vielleicht noch funktionieren. Aber es kostet Zeit und es verschiebt Grenzen immer weiter, bis zum “Anything Goes“.
Es ist zunehmend unpopulär, sich für Regeln einzusetzen, sie einzuhalten und die Einhaltung einzufordern. Das kann sogar gefährlich sein. Im Zug darauf hinzuweisen, dass man sich in einem Ruhebereich ohne Telefon befindet, kann die Fußballfans schon mal aufregen, dann lieber etwas nachsichtig sein… Damit zieht sich die Zivilgesellschaft in sich selbst zurück. Immer dann, wenn eine Regelverletzung in den persönlichen Lebensbereich eindringt, wünscht sich jeder einen starken Staat, weil es immer schwerer wird, persönlich für eine Regeleinhalt einzutreten, ohne sich den Vorwurf der fehlenden Toleranz einzuhandeln – oder auch schlimmeres.
Regeln nerven, sie engen ein und sind lästig. Aber zu einer funktionierenden Gemeinschaft gehört auch, sie auch dann zu respektieren, wenn sie für einen selbst einen Nachteil bedeuten. Nur das bewusste persönliche Beispiel in der Öffentlichkeit kann die Gefahr bändigen, dass bald die Regelbrecher die Regeln bestimmen.
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