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Das Recht auf individuelles Asyl abschaffen?

Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Hans-Eckhardt Sommer, fordert die Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl. Nicht als Präsident des Amtes, sondern als Privatperson. So versuchte Herr Sommer wahrscheinlich, den vorhergesehenen Sturm der Entrüstung zu entkräften, denn in seiner Funktion als Präsident einen solchen Frontalangriff auf das Asylrecht zu fahren, wäre sicher noch kritischer zu betrachten, als seine private Äußerung auf einer Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung..

Dieser Vorschlag ist nicht nur für Deutschland relevant, da auch europäische und internationale Vereinbarungen zur Behandlung von Flüchtlingen durch den Vorschlag berührt werden. Aber wie könnte man den Vorstoß neutral betrachten? Welche Probleme des gegenwärtigen Verfahrens versucht Herr Sommer mit seinem Vorschlag meiner Meinung nach zu lösen?

  1. Die Komplexität bei der Bearbeitung und Genehmigung von Asylanträgen. Wenn jeder Einzelfall beurteilt werden muss, muss es auch ein dazu ein geordnetes Verfahren  geben. In Deutschland dauerte ein durchschnittliches Anerkennungsverfahren im Jahr 2024 8,3 Monate.
  2. Die notwendige Bearbeitung von Anträgen aus „sicheren“ Ländern. Anträge aus „sicheren Herkunftsländern“ könnte man dann pauschal ablehnen.
  3. Die fehlende Kontrolle über die Menge der Anträge. Die individuelle Prüfung steht zunächst jedem Antragsteller zu, der es bis zur Grenze von Deutschland geschafft hat.

Alles ernst zu nehmende Probleme der gegenwärtigen Regelung. Warum hat man sich meiner Meinung nach bei der Definition der Regelungen zu der Behandlung von Flüchtlingen trotzdem für das Einzelverfahren entschieden? Die Entscheidung für ein sehr weitgehendes Aslrecht ist unter dem Eindruck des zweiten Weltkrieges getroffen worden. Die Fluchtbewegungen während und nach dem Krieg haben die Welt nachhaltig geprägt. Insbesondere das Schicksal der jüdischen Bevölkerung wurde dabei berücksichtigt.

  1. So wurden die Hürden für den Eintritt in ein fremdes Land bewusst niedrig angesetzt. Die Notwendigkeit von gültigen Papieren wurde von den Nationalsozialisten schamlos ausgenutzt. Ohne Papiere war eine Ausreise aus dem damaligen Deutschland nicht möglich, weil das aufnehmende Land diese Nachweise forderte.
  2. Die Beurteilung von sicheren Ländern wurde durch die schnelle Veränderung der politischen Lage in den jeweiligen Ländern oft überholt. Die Kennzeichnung eines „unsicheren“ Landes war zutiefst politisch motiviert. Man führe sich nur die „Appeasement“ Politik der Briten gegenüber den Nationalsozialisten vor Augen.
  3. Kontingente reflektierten die Tragik von Fluchtbewegungen nur unzureichend. Bei der Bewilligung von Einreisen wurden Familien auseinander gerissen, Menschen warteten verzweifelt auf die Genehmigung in einem rechtlosen Raum oder wurden gezwungen, ihre noch bestehenden Mittel in verschiedene Fluchtoptionen zu investieren, ohne dass sie echten Schutz erhielten.

Menschen ohne die notwendigen finanziellen Mittel und die physische Kraft konnten sich dem deutschen Reich und seinem Einflussgebiet nicht entziehen. Die Grundvoraussetzung für einen Asylantrag ist die Ankunft an der Grenze. Dies führt zu einer Verschiebung der Chancen auf Asyl, weil Menschen, die den strapaziösen Fluchtweg nicht wählen können, der Möglichkeit beraubt werden, einen Antrag zu stellen. Dieses Problem bestand in der Zeit nach dem 2.Weltkrieg, es besteht noch heute.

Die Frage ist, ob sich die oben genannten Probleme nicht auf eine bessere Art lösen lassen. Fluchtgründe sind sehr verschieden und die Gruppe der Flüchtenden ist keineswegs homogen. Bildungs- und Gesundheitssituation, Demografie und finanzielle Situation spielen eine große Rolle. Gegenwärtig werden alle Flüchtenden dem gleichen Verfahren unterworfen, in Deutschland mit der sehr langen Phase der fehlenden Arbeitserlaubnis. Eine genauere Differenzierung könnte helfen, ebenso wie mehr Kapazitäten für den Spracherwerb vor der eigentlichen Anerkennung – Integration auf Verdacht sozusagen. In Europa könnte man sich die Frage stellen, wie man die Behandlung der Ankommenden so vereinheitlicht, dass sich die systemische Belastung (Ankommende/Einwohner des Landes unter Berücksichtigung von Wirtschaftsleistung und Struktur) besser ausgleicht. (Siehe dazu auch die Verteilung von Asylanträgen in Europa)

Dazu braucht es aber eine gemeinsame Anstrengung, die über die Europäische Menschenrechtskonvention hinaus die Behandlung von Ankommenden als Aufgabe begreift, die nicht durch Limitierung allein geprägt wird, sondern auch als Chance für eine positive gesellschaftliche Entwicklung in einer zusehends globalen Welt.

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