Im Zusammenhang mit meinem letzten Blog zu Dietrich Bonhoeffer passt eine Zeitungsnotiz, die ich vor einiger Zeit gelesen habe, recht gut. Der Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen1 in Ludwigsburg sagte der Osnabrücker Zeitung: „Wir finden immer noch Verdächtige. Aber richtig ist: Wir fahren auf Sicht, wir sind im Schlussbereich der NS-Verfolgung angekommen. Die jüngsten möglichen Täter sind heute 97 Jahre alt, wenn sie im letzten Kriegsjahr 1945 als 17-jährige Teil des Systems geworden sind. Der älteste Verurteilte, den wir zuvor aufgespürt haben, war bei seiner Verurteilung 101 Jahre alt.“
So verdienstvoll sich die Ludwigsburger Behörde um die Aufklärung bemüht hat, es bleibt bezüglich der Aufarbeitung der NS-Verbrechen ein sehr dunkler Fleck in der politischen und juristischen Geschichte der Bundesrepublik. Der kürzlich aufgearbeitete Fall von Sigfried Uiberreither2 in Sindelfingen, einem ehemaligen Gauleiter, der unbehelligt unter dem Schutz von Behörden und Unternehmen straffrei blieb, zeigt dies deutlich.
Ich habe im Zuge meiner Lektüre der Buches „Die Vernichtung der europäischen Juden“ von Raul Hilberg eine sehr einfache Übung gemacht. Im Buch erwähnte Täter und Verantwortliche habe ich auf Wikipedia gesucht. Eine große Anzahl von Tätern und Verantwortlichen haben nach dem Krieg unbehelligt weiter Karriere gemacht. Das Buch von Hilberg wurde 1958 veröffentlicht, ein Beweis, dass viele Informationen zu Tätern und Ausmaß schon lange öffentlich vorlagen, die deutsche Justiz sich aber nur zögerlich um eine Aufklärung bemühte. Nachdem 1958 der erste größere Prozess zur Aufarbeitung der Taten unter anderem durch Friz Bauer initiiert wurde, der Ulmer Einsatzgruppen-Prozess3, wurde die Zentralstelle gegen einige Widerstände in Politik, Justiz und Öffentlichkeit gegründet. Die Täter im Ulmer Prozess wurden recht milde bestraft, man warf ihnen nur „Beihilfe“ vor. Die Ermittlungen wurden außerdem nur dadurch in Gang gesetzt, dass einer der Täter, SS-Oberführer Bernhard Fischer-Schweder gegen das Land Baden-Württemberg auf Wiedereinstellung klagte.
Das nach den unmittelbar nach dem Krieg gesprochenen Urteilen fast 20 Jahre vergehen mussten, bevor der erste größere Prozess zu Auschwitz4 in Frankfurt stattfand, während schon 1947 in Krakau verhandelt wurde, ist und bleibt eine große Wunde im Selbstverständnis von Justiz und Staat.
- Wikipedia Beitrag Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen ↩︎
- Wikipedia Beitrag Sigfried Uiberreither ↩︎
- Wikipedia Beitrag Ulmer Einsatzgruppen-Prozess ↩︎
- Wikipedia Beitrag Auschwitz-Prozesse ↩︎
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