Tages-Kommentare

Anstandshalber

In einem Leitartikel in der Zeit hat sich Giovanni Di Lorenzo Gedanken zum Anstand gemacht, der in der heutigen Zeit angesichts des „Trumpismus“ in der Politik immer mehr verloren geht1. Im Artikel beschreibt er, welche Form des Anstandes in der politischen Auseinandersetzung heute besonders notwendig ist.

„Der Anstand jedoch, den wir heute brauchen, sollte nicht spalten, sondern eher verbinden (…): miteinander sprechen. Die Bereitschaft zuzuhören, gerade wenn einem der Standpunkt fremd ist. Nichts zu versprechen, was man nicht halten kann. Sich zu eigenen Fehlern bekennen. Und, so weit sind wir leider schon, dass man selbst das anmahnen muss, ein Mindestmaß an Benehmen.“

Zunächst einmal sicher ein guter Ansatz, der meiner Meinung nach auch auf das private Leben und den Umgang miteinander Anwendung finden kann. Nun mag man einwenden, dass es „die Anderen“ ja auch an Anstand vermissen lassen, die Zeiten sind halt rauher und man muss sich ja nicht alles gefallen lassen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass Anstand eine gegenseitige Leistung ist, wer mir gegenüber Anstand beweist, dem begegne ich auch mit Anstand. Das ist zunächst einmal natürlich, und wenn ich ehrlich mir gegenüber bin, verhalte ich mich in Straßenverkehr und an Supermarktkassen oft gemäß diesem „Wie du mir, so ich dir“ Gedanken.

Leider ist schlechtes Benehmen und Mangel an Anstand aber genau deswegen ansteckend. Je mehr man mit rücksichtslosem Verhalten konfrontiert wird, desto eher ist man bereit, ebenfalls rücksichtslos, oder mindestens mit weniger Hemmung, zurück zu blaffen. Ein verständlicher und schwer zu kontrollierender Reflex, den ich auch bei mir beobachte.

Wie kann man sich von diesem Reflex befreien? Es braucht eine “Allianz der Willigen“. Man braucht Verbündete und die Einsicht, dass man Anstand nicht als Leistung, sondern nur als Haltung versteht, die unabhängig vom Verhalten anderer wertvoll und richtig bleibt. Oft verwechselt man Anstand mit einem “Nachgeben“ in der Sache, Insbesondere wenn die einem entgegengebrachte Verletzung des Anstandes so monströs wie bei Herrn Trump ist. Auch in solchen Fällen sollte man üben, anständig Anstand einzufordern. Zum Üben braucht man Gleichgesinnte und Verbündete.

  1. Ich habe den Artikel in der Printausgabe gelesen, online ist er nur hinter einem Bezahlportal als Podcast zu finden. Ich vermeide es in diesem Blog, Fotos von Artikeln zu veröffentlichen, wenn sie nicht öffentlich zugänglich sind, um das Urheberrecht zu respektieren.
    ↩︎

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