Er konnte einem fast leid tun, der Herr Merz. Die Kommentare nach dem ersten Wahlgang im Bundestag reichten von Fassungslosigkeit bis Häme. Auch ich war sehr überrascht und brauchte etwas Zeit, um das für mich einzuordnen. Hier meine Sicht auf das „historische Ereignis“.
Zunächst einmal zu der Einordnung. Das der Kanzler nicht im ersten Wahlgang gewählt wurde, ist eine historische Neuheit und schon sehr überraschend. Der Einordnungsversuch von Kanzler Merz im ARD Interview trifft nicht ganz den Kern – so normal es ist, nicht alle Stimmen der Koalition bei der Wahl zu bekommen, so knapp sind die momentanen Mehrheitsverhältnisse. Das größere Problem, was als historisch zu bezeichnen ist, ist aber die Tatsache dass mehr als ein Fünftel der Bevölkerung bei der letzten Bundestagswahl ihre Stimme einer verfassungsfeindlich-rechtsradikalen Partei gegeben hat.
Ich finde übrigens, dass in dem Interview ein gefasster Friedrich Merz sich sehr gut geschlagen hat.Ich hätte vollstes Verständnis gehabt, wenn er mit weniger Beherrschung argumentiert hätte. Das ist ein Zeichen von Veränderung oder sehr harter Arbeit nach der Bekanntgabe des ersten Wahlganges. Und hier sehe ich auch eine Chance. Wenn dieser historisch einmalige Vorgang ein Gutes haben sollte, dann die dringende Mahnung zur Einheit und zum Dialog in der Koalition. Der Kredit, den Herr Merz im Interview erwähnt hat, muss durch konstruktive Arbeit zurückgezahlt werden. Dies hat der gestrige Tag nochmal deutlich gezeigt. Ohne das Vertrauen in die Dialogfähigkeit und Umsetzungskraft in der Koalition wird es nicht gehen. Die Aktion hat gezeigt, dass der Weg, die Bürger zurückzugewinnen nur über eine konstruktive Atmosphäre in der Koalition zu machen ist.
Nun zu den Spekulationen über die „Abweichler“. Im ARD Bericht wurde – vielleicht bin ich zu sensibel – kolportiert, dass es wohl eher die SPD war, zu mindestens fing damit fast jeder Satz über die Abweichler an. So wahrscheinlich das auch sein mag, der Unmut in der CDU/CSU ist nicht minder groß, und damit die Wahrscheinlichkeit auch dort Gegenstimmen kassiert zu haben. Als Motivation lässt sich über Vieles spekulieren, so wie im Bericht angedeutet. Vielleicht war es einfach Pech oder der Zeitgeist der Wutbürger. Die, von Wut geleitet, wählen radikale Methoden der Meinungsäußerung, weil sie das Vertrauen in die Wirksamkeit von zivilisierten Methoden verloren haben.
Wenn das so wäre, wartet auf die Fraktionsvorsitzenden der Koalition noch viel Arbeit, denn diese Haltung darf sich nicht ausbreiten, das wäre dann der Anfang einer FDPisierung der Koalition gleich am Anfang.
Die „Abweichler“ hätten vielleicht eher Friedrich Merz mal zu Seite nehmen sollen, und ihm ihre Bedenken direkt erklären sollen. Die Wirkung ihrer Aktion reicht in einer Demokratie mit mehr als 20% radikal wählenden Bürgern weit über einen reinen Denkzettel hinaus.
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