Wie weit darf der Staat gehen, um Gefahren für das politische und öffentliche Leben abzuwenden? Angesichts der Einschätzung der AfD als gesichert rechtsextremistisch werden Stimmen laut, die sich um die Wirkung von verfassungsfeindlichen Personen im öffentlichen Dienst sorgen und nach weitergehenden Maßnahmen rufen.
Diese Sorge ist nicht neu, 1972 wurde von Bund und Ländern der sogenannte „Radikalenerlass“ beschlossen1. 1972 war ich noch zu jung, um die Diskussionen mit zu verfolgen, aber ich kann mich daran erinnern, welche Diskussionen geführt wurden, als der Erlass in den Bundesländern wieder aufgehoben wurde. Ab etwa 1983 wichen erste Bundesländer von der bisherigen Praxis ab2.
Es lohnt sich die Erfahrungen der damaligen Zeit ins Gedächtnis zu rufen, um die heutigen Standpunkte mit den damaligen Diskussionsbeiträgen abzugleichen.
Der damalige Radikalenerlass zielte auf die Beschränkung des Zugangs von vorwiegend linksextremistischen Kräften in den Staatsdienst. Das Gesetz wandte sich im Text auch gegen Rechtsextremismus, aber das Hauptaugenmerk galt dem linken Spektrum. Die Attentate der RAF und der insbesondere an den Universitäten und Schulen existierenden Unterstützerkreis dominierten die Diskussion über die Gefahren für die Demokratie. Die anfängliche Unterstützung des Erlasses basierte vor Allem auf der Begründung, dass eine Demokratie sich eben nicht alles gefallen lassen kann. 1975 bestätigt das Bundesverfassungsgericht die prinzipielle Rechtmäßigkeit des Erlasses3. Erstaunlich bei der Urteilsbegründung war insbesondere, dass die Verfassungsfeindlichkeit der Organisation (damals der „Roten Zelle Jura“) gar nicht abschließend entschieden sein muß, um die Eignung einer Bewerberin in Zweifel zu ziehen. Nur wenn die Person Mitglied in einer noch nicht verbotenen Partei ist, werden im Urteil strengere strengere Kriterien gefordert.
Die zunehmende Kritik an der durch den Erlass etablierten Praxis basierte auf den folgenden Argumenten. Zum Einen beschlich die Befürworter das ungute Gefühl, die gleichen Methoden wie das gerade vergangene Dritte Reich anzuwenden. Schließlich war die Einschränkung der Berufsausübung eine der ersten repressiven Maßnahmen nach der Machtergreifung der Nazis. Das ist eine Argumentation auch der politischen Mitte.
Zum Anderen beklagen die Kritiker die Einseitigkeit der Beurteilung. So werden linke Aktivisten sofort den Maßnahmen unterworfen, die Aktivitäten rechtsradikaler und ehemaliger NSDAP Anhänger führten aber nur äußerst selten zu Einschränkungen. Diese Argumentation erfreute sich natürlich vor allem im linken Spektrum der damaligen Zeit.
Eine dritte Argumentation stellte insbesondere die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Die Bedrohung durch linke revolutionäre Kräfte war nach der Aufflammen des linken Terrorismus deutlich geringer. Hier noch von einer gefährdenden Bedrohung zu sprechen war zunehmend zweifelhaftes Stereotyp.
Der Europäische Gerichtshof. entschied in einem Urteil von 19954, dass einer niedersächsischen Lehrerin ein Schadenersatz zusteht, da sie im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention §10 in ihrer freien Meinungsäußerung beschränkt wurde. Der Fall ist aber insofern besonders, da die Entlassung deutlich nach der Bekanntgabe der politischen Aktivität in der DKP ausgesprochen wurde, die im übrigen als Nachfolgepartei der KPD nicht verboten war.
Wenn man die Geschichte des Radikalenerlasses und seiner Abschaffung also genauer betrachtet, ist die Lage viel komplizierter. Für mich ergeben sich bei der Betrachtung folgende Aspekte:
- Der Staat muss die Möglichkeit haben, bei der Ernennung von kritischen Berufen eine Bestätigung der Loyalität gegenüber der Verfassung zu fordern. Dies muss auf einem rechtsstaatlichen Verfahren basieren und vor Willkühr geschützt werden.
- Die Verhältnismäßigkeit spielt eine große Rolle, auch damit Willkür verhindert werden kann. Das Aussprechen von Berufseinschränkungen ist – nicht nur aus der Erfahrung der Nazi-Zeit – ein tief in die Grundrechte des Einzelnen eingreifendes Instrument, das mit Vorsicht zu handhaben ist.
- Für die Feststellung einer fehlenden Eignung zum Staatsdienst ist es nicht notwendig, dass ein vorheriges Verbot der Organisation ausgesprochen werden muss.
Die jetzige Beurteilung der AfD macht es notwendig, dass ernsthaft und im Lichte der schon gemachten Erfahrung geprüft wird, wie sich der Staat gegen den Einfluss von verfassungsfeindlichen Kräften wehren kann, und dabei verhältnismäßig handelt. Eine pauschale Forderung birgt Gefahren der Akzeptanz und der Verletzung von höherrangigem Recht, wie der europäischen Menschenrechtskonvention.
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