Nach der Rede von J.D. Vance auf der Sicherheitskonferenz, in der er. behauptete, dass die Meinungsfreiheit in Europa und insbesondere in Deutschland gefährdet sei, tauchen zu dem Thema viele Kommentare auf, mit sehr unterschiedlichen Haltungen. Von kompletter Ablehnung bis zu moderater oder auch vollständiger Zustimmung reichen die Beiträge zur Debatte.
Vor einiger Zeit habe ich dazu einen Podcast gehört, der sich detaillierter mit diesem Thema beschäftigte. Wie sehe ich die Sache?
- Man muß das Thema differenziert betrachten, um eine sinnvolle Position zu finden.
- Es gibt verschiedene Ebenen der rechtlichen und sozialen Kontrolle von Meinungsäußerungen.
- Eine „traditionelle“ Sichtweise auf das Thema genügt angesichts der veränderten Möglichkeiten zur Meinungsäußerung und
-verstärkung nicht mehr.
Wie muss das Thema nun differenziert werden? Man kann auf das Thema mit der rechtlichen Brille schauen. Dann landet man beim Grundgesetz und den daraus abgeleiteten Rechtsnormen. Das Grundgesetz hat eine sehr weite Sicht auf die Dinge, es ist unter dem Eindruck einer (Meinungs-)Diktatur entstanden und betont das individuelle Recht auf Meinungsäußerung. Die Rechte der Meinungsäußerung sind ein hohes Schutzgut.
Meinungs-Diktatur: Die nationalsozialistische Diktatur konnte sich neben den diktatorischen Methoden auch auf etwas stützen, das zuzugeben unangenehm ist: Die Zustimmung der Bevölkerung. Es ist eben nicht so gewesen, das alle Deutschen Angst vor der Gestapo hatten, sie waren oft die Gehilfen der Diktatur. Nicht alle, aber genug, um das System für eine lange Zeit stabil zu halten. Die herrschende gesellschaftliche Meinung war, dass Hitler gut für das Land sei, zu mindestens lese ich so die Erinnerungen vieler Zeitzeugen.
Die zweite Sichtweise ist die des sozialen Gefüges, in dem die Meinungsäußerung gemacht wird, Freunde Bekannte und Unbekannte steuern über ihre Reaktion ebenso wie das Recht die Bereitwilligkeit, bestimmte Standpunkte zu äußern und zur Debatte zu stellen. Diese Sichtweise dominiert gemeinhin die Einstellung zur Meinungsfreiheit, denn auch wenn Presseberichte über rechtliche Konsequenzen sichtbar sind, wird unser tägliches Verhalten doch eher über die Reaktion unseres Umfeldes bestimmt. Der Satz „Das wird man doch noch sagen dürfen“ spielt eher eine Rolle im persönlichen Umfeld, es sei denn man hat Zugang zu einer „echten“ Öffentlichkeit, wie als Politiker oder politisch Aktiver, der unter medialer Beobachtung steht.
Welche Ebenen gilt es bei dem Thema zu berücksichtigen? Auf der rechtlichen Seite die Beobachtung, dass sich die Beurteilung von Zumutbarkeit im juristischen Umfeld verschiebt. War es vor einiger Zeit noch legitim, sehr verletzende Aussagen unter den Schutz der Meinungsäußerung zu stellen, ist das heute schon schwieriger. Angesichts der Erfahrung der letzten Jahre, dass „Worte auch zu Taten werden können“, beurteilen Gerichte heute Meinungsäußerungen strenger, insbesondere im Kontext der sozialen Medien.
Im gesellschaftlichen Umgang zeigt sich diese Haltung schon länger. Die Errungenschaften im Kontext des Minderheitenschutzes verschieben die Schwelle, bei der eine Äußerung als nicht mehr akzeptabel angesehen wird. Zudem verschiebt sich die Sichtweise auf Sprache. Dazu kommt, dass der Faktencheck den Anspruch einführt, dass sich Aussagen auch im privaten Gespräch überprüfen lassen müssen. Wer hat nicht schon Google nach Aussagen in einer privaten Diskussion durchsucht…
Man könnte jetzt „traditionell“ argumentieren, dass sich die Betroffenen halt nicht so anstellen sollen. Dies schwingt auch in der Haltung der Vance Aussagen mit. Aber so einfach ist es nicht. Es gibt zwei neue Aspekte, die meiner Meinung nach durch die Nutzung der sozialen Netze an Gewicht gewonnen haben.
- Anonymität als Instrument
- Der (ökonomisch motiviere) Verstärkereffekt der Algorithmen der sozialen Netzwerke
Auch wenn der Schutz der Sich-Äußernden im Internet eine Errungenschaft für Opposition in Diktaturen bedeutet, birgt das Recht auf Anonymität die Gefahr in sich, enthemmt zu agieren. Wie sollen wir als demokratische Gesellschaften darauf reagieren? Zumal auch in Demokratien der Schutz durch Anonymität notwendig sein kann.
Die Wirkung von Äußerungen in sozialen Netzen sind durch die Einwirkung der Algorithmen schwer abschätzbar. Die Äußerung kann in die Bedeutungslosigkeit versinken trotz großer Relevanz, sie kann aber auch viral gehen und großen Schaden oder Nutzen anrichten.
Beide Eigenschaften der sozialen Netzwerke erhöhen das Risiko von Meinungsäußerungen, und meine These ist, dass dies auch einen Abstrahleffekt auf jegliche Meinungsäußerung hat, weil mit den sozialen Medien die Meinungsäußerung scheinbar sozialisiert wurde und damit dominiert.
Also haben beide, Befürworter und Gegner von Beschränkungen und Kontrollen von Meinungsäußerungen eigentlich vor dem gleichen Angst: Dem umkalkulierbaren Risiko eines sozialen Shitstorms, der auf die Individuen zurückfällt und sie verstummen lässt.
Als Gesellschaft müssen wir uns fragen, wie wir mit diesem Effekt umgehen wollen, ähnlich der langen Geschichte der Entwicklung der journalistischen Spielregeln und Rahmenbedingungen mit der Einführung von Printmedien nach der französischen Revolution. Eine einfache Antwort darauf, egal aus welcher Perspektive, wird es wohl nicht geben.
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