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Teil III  Der Gaza-Konflikt – Ein gerechter Krieg?

In meinem ersten Beitrag zu dem Thema stellten sich mir drei Fragen.

Meine Position zu dem Konflikt habe ich noch nicht gefunden. Für mich stellen sich die folgenden Fragen:

  • Führt die israelische Regierung mit angemessenen Mitteln einen Verteidigungskrieg gegen die Hamas, angesichts der Tatsache, dass die Hamas alle völkerrechtlichen Spielregeln missachtet?
  • Hat die israelische Regierung das Recht, internationale Absprachen zu brechen, wie in der Siedlungspolitik?
  • Ist der im Raum stehende Vorwurf von Antisemitismus bei der Diskussion dieses Krieges generell berechtigt?

Die Frage nach den angemessenen Mitteln will ich in diesem Beitrag bedenken. Natürlich ist die Frage so komplex, dass ich nicht den Anspruch haben kann, eine allgemeingültige Entscheidung trefffen zu können. Aber basierend auf verschiedenen Quellen eine persönlichliche Einstellung zu formulieren, muss möglich sein. Mein Verständnis von den Ereignissen des 7.Oktobers und der Reaktion des israelischen Staates auf den Angriff basiert auf dem Teil II [1 Blog Teil II] meiner kleinen Blog-Serie. Neben anderen Quellen dient mir das Buch “Gibt es einen gerechten Krieg“ von Reinhold Schmücker als Richtschnur [2 Schmücker].

Selbstverteidigung

Die Frage nach der Selbstverteidigung ist schwierig bei einem lange schwelendem Konflikt mit vielen verschiedenen Methoden des Kampfes. Um einen willkürlichen Zeitpunkt zu definieren, von dem man die Betrachtung startet, eignet sich der 7.Oktober vor allem, weil er eine ungeahnte neue Eskalationsstufe in dem Konflikt markiert. Die Form und die damit verbundene Grausamkeit stellt eine so eklatante Verletzung jeglicher völkerrechtlicher Rahmenbedingungen dar, dass mit diesem Vorgehen eine neue Bewertung der Auseinandersetzung notwendig ist. Bei allem Verständnis für die Lage des palästinensischen Volkes sind die barbarischen Szenen auf dem Nova Musikfestival sicher kein verhältnismäßiges Mittel der Verteidigung. Die Ermordung von Kindern, die Schändung von Toten und die massiven Angriffe auf wehrlose Zivilisten sind keine Form von Kriegsführung, sondern Terror. Diese Vorgehensweise ist deswegen neu, weil sie die Form eines hybriden Terrors angenommen hat. Keine Einzeltaten von Attentätern prägen diesen Angriff, sondern militrärisch koordinierte völkerrechtswidrige Gewalttaten, über 1000 Angreifer haben den Gaza-Zaun überschritten. Auch wenn man die Asymmetrie des Konfliktes bedenkt, kann man den 7.Oktober nicht als Selbstverteidigung eines ohnmächtigen unterdrückten Volkes bewerten, es ist schiere Menschenverachtung.

Angesichts dieser Angriffshandlung könnte man nun den Israelis das Recht zubilligen, mit allen verfügbaren Mitteln einen Gegenschlag zu führen. Der Unterschied zwischen der Hamas, einer Terrororganisation, die im eigenen Herrschaftsgebiet Teile der Bevölkerung unterdrückt, und dem israelischen Staat ist jedoch groß. Israel beansprucht für sich, auf der Seite der demokratischen Staaten zu stehen. Es leitet sein Existenzrecht, auch wenn mittlerweile die Einstellung zu der Organisation sehr abgekühlt ist, aus der Unterstützung der UN ab, als Reaktion auf die Gräuel der Nationalsozialisten. Deswegen gelten für die Kampfmaßnahmen der israelischen Regierung und der Armee die Regeln des Völkerrechts. Wenn die Maßnahmen der IDF im Gaza-Konflikt diesen Regeln nicht genügen, kann Israel nicht mehr erwarten, dass sie von anderen Staaten und deren Bevölkerung uneingeschränkt moralisch unterstützt werden.

Im folgenden stelle ich die von Schmücker erarbeiteten Kriterien für die Bewertung eines gerechten Krieges vor und stelle sie den Maßnahmen der IDF gegenüber.

Sechs Bewertungskriterien für gerechte Kriege

Bei der Frage nach dem gerechten Krieg steht häufig eine strittige Annahme im Raum. Das Selbstverteidigungsrecht sei ein höheres Recht und braucht nicht notwendigerweise allen Kriterien genügen, die ein Angriffskrieg erfüllen muss. Wenn es jedoch Kriterien für einen legitimen Angriffskrieg gibt, dann ist folgerichtig nicht jede Selbstverteidigungsmaßnahme legitim. Also muss es auch für Verteidigungskriege einen Legitimationsrahmen geben. Schmücker arbeitet in dem Buch folgende sechs Kriterien aus, die eine Kriegshandlung erfüllen muß, um legitim zu sein. Die Entscheidung für einen Kriegsbeginn muss zu dem Schluss führen “das es moralisch erlaubt ist, zur Erreichung eines moralisch guten Ziels ein Mittel einzusetzen, das (1) von einer dazu berechtigten Instanz gewählt ist und dessen Wahl (2) durch einen dazu berechtigenden Grund gedeckt ist, das (3) offensichtlich um eines moralisch Guten Willen und so zielführende und so wenig schädigend wie möglich sowie (4) unter Beachtung des von allen Staaten der Erde anerkannten humanitären Völkerrechts eingesetzt wird und überdies (5) ein alternativloses und (6) verhältnismäßiges Mittel ist.” [2 Schmücker, S.55] Dabei mus ein Angriffskrieg alle Kriterien erfüllen, bei einem Selbstverteidigungskrieg muss dies nicht zwingend der Fall sein.

Versuch der Anwendung der Bewertungskriterien

Zunächst einmal eine voranstellende Definition. Ich definiere die Ereignisse des 7.Oktober als Angriff der Palästinenser auf Israel, die nachfolgenden Kampfhandlungen der IDF als Verteidigungskrieg. Die komplexe Vorgeschichte des Angriffs führt dazu, dass darüber unendlich gestritten werden kann. Dazu verweise ich auf die Position von Isaac Deutscher, den ich im Teil I erwähnt habe. Für mich ist die Frage, wer angefangen hat, unbeantwortbar.

(1) Der Krieg wird von einer dazu berechtigten Instanz begonnen

Hier sind die Voraussetzungen bei der Hamas und der Regierung von Netanjahu sehr unterschiedlich. Im Gaza Streifen hat seit 2006 keine Wahlen mehr gegeben, nach der Wahl (44% der Stimmen) wurde die oppositionelle Fatah gewaltsam bekämpft. Die Hamas hat wiederholt mit terroristschen Maßnahmen versucht, ihre Ziele durchzusetzen. Gleichzeitig hat sie eine de-facto Diktatur im Gaza-Streifen errichtet

Netanjahu ist durch demokratische Wahlen an die Regierung gekommen. Seine Bemühungen, der Verfolgung durch die Justiz zu entgehen, können aber Zweifel an der Berechtigung zum weiteren Regieren nähren. Dennoch, auch unter dem Eindruck, dass es sehr wohl genehmigte Demonstrationen und eine offene Debatt über die Entscheidungen der Regierung und die Maßnahmen der Armee gibt, kann man von einem legitimen Regierungsauftrag in Israel sprechen.

(2) Die Wahl des Krieges als Maßnahme ist durch einen berechtigenden Grund gedeckt

Die humanitäre Lage im Gaza Streifen war schon vor dem Krieg nicht akzeptabel. Der Vorwurf der Apartheid gegenüber Israel ist durchaus von glaubwürdigen Organisationen erhoben worden, auch wenn der Vorwurf des Antisemitismus als Reflex geäußert wurde und insbesondere bei Israels Verbündeten wiederholt wurde. Leider hat die israelische Regierung es versäumt, auf die Vorwürfe im Bericht von Amnesty [3 Amnesty] detailliert zu antworten. Damit ist es schwer, die Standpunkte beider Seiten zu vergleichen. Der internationale Gerichtshof erhielt im Dezember 2024 von Südafrika eine Anzeige mit dem Vorwurf, dass Israel ein Apartheidssystem etabliert habe [4 Deutschlandfunk]. Berechtigen diese Vorwürfe den Angriff der Hamas auf Israel? Dem könnte man zustimmen – sofern man ausschließlich auf diese Begründung zum Angriff abhebt und nicht auf die anderen Kriterien eingeht – eine sehr abstrakte Begründung. Allerdings scheint der Grund nicht primär die Befreiung von einer Besatzungsmacht zu sein, sondern primär die Vernichtung Israels und sekundär die Machtdemonstration der Hamas. Zumindestens lassen die Äußerungen der Hamas-Verantwortlichen darauf schließen.

Das sich Israel – vor allem Angesichts der demonstrierten Unmenschlichkeit und der Geiselnahmen – mit militärischen Mitteln gegen diesen hybriden Terrorismus wehren darf, steht für mich ausser Frage. Das Kriegsziele einer vollständigen Vernichtung der Hamas stellt jedoch keinen berechtigenden Grund dar.

(3) Der Grund ist von moralisch Guten Willen geleitet

Da dem Palästinensischen Angriff der berechtigende Grund fehlt, kann es auch keinen moralisch Guten Willen geben. Auch wenn palästinensische Unterstützer dies aus der unbestrittenen Unterdrückung ableiten wollen, kann ich für mich das nicht gelten lassen. Dazu fehlt nicht nur der Grund, sondern auch eine Demonstration dass die Angriffe von irgendeinem moralischen Wertegerüst gesteuert waren.

Auf der Seite Israels lässt sich als moralisch Guter Wille sicher die Geiselbefreiung anführen, die vollständige Vernichtung des Gegners ist jedoch kein Zeichen moralisch Guten Willens.

(4) Er wird unter Beachtung des humanitären Völkerrechts geführt

Wenn man den Teil II meiner Serie liest, ist die Antwort darauf einfach, beide Seiten missachten massiv das Völkerrecht. Um aber eine weiterführende Begründung für den israelischen Völkerrechtsbruch zu geben, habe ich, ausgehend von den Überlegungen der UN die Altersverteilung der Opferzahlen (Tote und Verletzte)  mit der Verteilung in der Bevölkerung verglichen. Die Erwartung wäre, dass Kinder, Jugendliche und ältere Menschen signifikant unterproportional vertreten sind. Die Daten zeigen, dass es keine wirksamen Maßnahmen der IDF gibt, um diese zivilen Bevölkerungsschichten zu schützen, auch der Frauenanteil aus dem UN Bericht [2 Blog Teil II] zeigt dies.

Auch wenn die Hamas gezielt Zivilisten als Schutzschilde benutzt, verbietet das Völkerrecht, diesen Umstand bei der Planung kriegerischer Maßnahmen zu ignorieren und nicht-differenzierend zu töten.

(5) Es gibt keine andere Maßnahme, den berechtigenden Grund zu erreichen

Für die Palästinensische Seite kann hier die Antwort auch nur „nein“ heißen, da der berechtigende Grund fehlt.

Die israelische Seite führt einen Krieg in einer hoch assymmetrischen Form. Anzahl, Bewaffnung und Ausbildungsstand der IDF stehen in keinem Verhältnis zu den Mitteln der Hamas. Der Konflikt wird durch diese Assymmetrie noch grausamer, weil er den Charakter einer Guerilla-Taktik erhält. Die massiven Bombardierungen auch ziviler Ziele bei militärischer Übermacht geben Anlass zum Zweifel daran, dass diese Maßnahme dazu führt, den berechtigenden Grund zu erreichen. Der Krieg und die Art des Krieges führen sicher dazu, dass der Terrorismus und der Hass gegenüber Israel im nahen Osten neue Anhänger findet.

(6) Er wählt verhältnismäßige Mittel

Dieser Punkt ist eng mit dem Punkt (5) verbunden und bedarf nach der Lektüre von Teil II [4 Blog Teil II] keiner weiteren Erläuterung.

Zusammenfassend lässt sich also folgende holzschnittartig-grobe Tabelle aufstellen, um die Frage nach einem gerechten Krieg zu beantworten.

KriteriumPalästinenser in GazaIsraelis
berechtigte Instanzneinja
Berechtigender Grundneinja
Moralisch Guter Willeneinnein
humanitäres Völkerrechtneinnein
Alternativlosigkeitneinnein
verhältnismäßige Mittelneinnein


Beide Seiten führen einen ungerechten Krieg, weder Angreifer noch Verteidiger können sich darauf berufen, dass sie von der Weltgemeinschaft für die gerechte Sache Unterstützung bekommen müssen. Nun lässt sich die Frage stellen, ob nicht alle Kriege durch diesen Test fallen? Ich meine nein, auch wenn ich mich als pragmatischer Pazifist bezeichnen würde. Der zweite Weltkrieg, zumindestens in Deutschland, musste geführt werden, um Europa vor schrecklicher Barbarei zu schützen. Der Preis dafür war schrecklich hoch, aber er war die Grundlage für einige Mindeststandards im Umgang der Völker miteinander, wenn auch hauptsächlich in Europa. Der Krieg in der Ukraine ist für mich ein Beispiel für einen gerechten Verteidigungskrieg – auch wenn ich das Leid der Menschen schrecklich finde.

Teil I: Was kann ich dazu schreiben
Teil II:Was geschehen ist

[1 Blog Teil II] Teil II

[2 Schmücker] Reinhold Schmücker “Gibt es einen gerechten Krieg?” https://www.reclam.de/produktdetail/gibt-es-einen-gerechten-krieg-9783150145968

[3 Amnesty] Amnesty Bericht Apartheid Israel https://www.amnesty.org/en/wp-content/uploads/2022/02/MDE1551412022ENGLISH.pdf

[4 Deutschlandfunk] Bericht zur Klage am IGH gegen Israel https://www.deutschlandfunk.de/apartheid-israel-klage-suedafrika-100.html

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