Zum Hörbuch von Julia Ruhs „Links-Grüne Meinungsmacht“
Wer ist Julia Ruhs? In den bewegten Zeiten der medialen Aufgeregtheit vielleicht schon wieder aus dem Augenmerk verschwunden. Es ab vor einiger Zeit die Aufregung um sie, als der NDR sie wegen massiver Kritik – auch aus ihrer Redaktion – von der Moderation der Sendung „Klar“ ausschloss, mit dem die ARD einem breiteren politischen Spektrum Raum geben wollte. Nun darf Frau Ruhs nur noch im BR moderieren. Da ich mich in letzter Zeit mit dem Thema Öffentlichkeit und Medien beschäftige (siehe auch meine Videopräsentation) wollte ich mir die Argumentation von Frau Ruhs genauer anhören. Das ist mein insgesamt zweites Hörbuch, sonst bevorzuge ich eher Papier oder e-Papier.
Ein Problem bei Hörbüchern ist es, dass das Zurückblättern und Strukturieren des Gehörten nicht gut funktioniert. Deswegen ist dieser Kommentar eher ein Eindruck, keine echte Analyse und man sollte sich selbst ein Bild machen. Was ist mir also „hängengeblieben“? Die grobe Argumentation läßt sich wohl wie folgt zusammenfassen. Journalisten sind aufgrund verschiedener Einflüsse hauptsächlich links-grün beeinflusst, weil sie 1. selbst dieser Einstellung nahestehen 2. Der Medienapparat ein Auswahlmechanismus darstellt, der diese Haltung begünstigt 3. Weil Journalismus an Relevanz in der Gesellschaft verliert, und damit ein „gesinnungsmotivierter“ Journalismus in den Fordergrund gespült wird. Journalisten haben häufig eine gesellschaftswissenschaftliche Ausbildung mit Studium und sind zu gebildet, um die Situation und Meinung der Gesellschaft abzubilden. 4. Deswegen ist es nur konsequent, wenn sich angesichts der technischen Möglichkeiten alternative Medienformen und -macher entwickeln, die diese „Abbildungslücke“ auffüllen. 5. Eine Demokratisierung der Medienlandschaft wird von Frau Ruhs begrüßt. So weit ein grober Abriss, gerne Kommentare, falls meine Zusammenfassung nicht trifft.
An all diesen Kritikpunkten ist natürlich etwas dran, insofern absolut bedenkenswert. Natürlich kommt jetzt ein „aber“ von mir, was ich im Folgenden begründen will. Schon im Titel des Buches offenbart sich eine Schwäche, der Schwerpunkt auf die Meinungsäußerung. Sehr ausführlich werden Leserinnenzuschriften über Instagram und Kommentare zitiert, die sehr abheben, dass es vor allem um die freie und unbeeinflusste Meinungsäußerung geht. Aber die Publizierung von Meinungen ist nicht die einzige Aufgabe von Journalistinnen. Es geht nicht darum, Meinungen zu verbreiten, sondern allenfalls Argumente, wenn nicht gar Fakten. Nun kann man trefflich darüber streiten, was Fakten sind, und Frau Ruhs weist darauf mehrfach hin, das es in der heutigen Medienwelt nicht klassisch um Wahrheit gehen kann, jede Auswahl von Fakten beeinflusst die dahinter liegende Aussage. Aus der Schwierigkeit, Fakten zu einer “gültigen Wahrheit“ zu verknüpfen, abzuleiten, das es der Fakten nicht mehr bedarf, endet jedoch in Beliebigkeit. „Eine Meinung ist kein Argument“ gilt. Insbesondere die klassischen Reizthemen der öffentlichen Debatte haben eine Faktenbasis, die sich nicht einfach ignorieren läßt, so wie der Klimawandel und Corona. Man kann die Fakten dazu natürlich interpretieren, aber eine Leugnung der Effekte ist kein haltbares Argument mehr, auch wenn man diese Meinung natürlich haben kann. Fakten sind heute häufig eine Wahrscheinlichkeitsaussage, was jedoch kein Grund ist, mit Maßnahmen zu warten, bis man absolute Gewissheit hat. Gesellschaftliche Entscheidungen sind zum einen immer Entscheidungen unter Unsicherheit, zum anderen nur schwer mit Experimenten vorzubereiten.
Man stelle sich vor, man öffnet deren Beruf des Arztes für jeden, egal, ob er ihn gelernt hat oder nicht, schließlich kann man ja darauf vertrauen, dass er sich das selbst beigebracht hat. Das ist eine absurde Vorstellung. Ich bin froh, wenn die Journalistin es gelernt hat, wie man Fakten einordnet, welche Quellen einem zur Verfügung stehen, es auch gelernt hat, sich in neue Materie einzuarbeiten. Im Journalismus haben sich Mechanismen der Qualitätssicherung etabliert, Redaktionen, Quellenverifikation, Transparenzhinweise und andere Praktiken. Ähnlich wie in der Wissenschaft gibt es Peer-Reviews und Selbstverpflichtungen. Und genau wie in der Wissenschaft bedeutet das nicht, dass dieses System fehlerlos ist. Frau Ruhs vertraut den alternativen Medien. Sie weist zwar auf mögliche Gefahren hin, aber eine „Demokratisierung“ der Medienlandschaft durch Influencer und alternative Angebote begrüßt sie, auch mit dem Argument der Reichweite. So wie sie oft die voreilige Schlussfolgerung zieht, dass die Zuschriften, die sie erhält, ein realistisches Spiegelbild der gesellschaftlichen Stimmung ist. Die alternativen Medien sind nicht nur von dem hehren Ziel der Erweiterung des Debattenraumes motiviert, sondern auch von dahinter liegenden ökonomischen und politischen Interessen.
Nun ein Kommentar zur Form und Formulierung des Buches. Ich empfand es als anstrengend, den Gedankengängen zu folgen, vor allem, weil sich nicht nur in den zitieren Kommentaren, sondern auch in der Argumentation der Autorin eine latente Aggressivität zeigt, die den Meinungsschutz häufig so interpretiert, als wäre jedes Gegenargument und jede Forderung nach Belegen für Behauptungen schon ein Angriff auf die Meinungsfreiheit selbst. Was den links-grünen Meinungsmachern vorgeworfen wird, wird hier selbst praktiziert. Die Meinungsäußerung nicht als Einladung zum Austausch und Debattieren von Fakten und Positionen zu sehen, sondern als sakrosankte, schützenswerte Äußerung von Persönlichkeit. Natürlich kann mein Eindruck auch durch einen psychologischen Effekt entstanden sein, den Frau Ruhs im Buch erwähnt, und der mich angesprochen hat – den Effekt der Reaktanz. Copilot definiert Reaktanz wie folgt:
„Reaktanz in der Psychologie bezeichnet den inneren Widerstand gegen Einschränkungen der persönlichen Freiheit. Sie tritt auf, wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Entscheidungs- oder Handlungsfreiheit bedroht oder eingeschränkt wird.
Reaktion: Die betroffene Person reagiert oft mit Trotz oder Widerstand – sie möchte gerade das tun, was verboten wurde, oder lehnt das ab, was ihr aufgezwungen wird. Das, was verboten oder eingeschränkt wurde, erscheint plötzlich besonders attraktiv. Menschen tun „erst recht“ das Verbotene, um ihre Autonomie zu demonstrieren.“
Für mich ist dieser Aspekt durchaus ein guter Rat für beide Seiten, links-grün und rechts-konservativ. In der Auseinandersetzung um ein Thema reagiert jede Seite auf Argumente mit einem Reflex zum Widerstand. Nur ist das eben kein Fakt, kein Argument. Die Debatte sollte diesen Reflex durch eine angemessene Gestaltung zu überwinden versuchen. Wie gestalte ich meine Kommunikation so, das ich es vermeide, bei meinem Gegenüber den Effekt der Reaktanz auszulösen. Unabhängig von der politischen Orientierung hat sich in den Zeiten der 140 Zeichen Twitter oder X Meinungsäußerung und der Shitstorm-Kultur hier etwas verschoben, was sicher zur gegenwärtigen Situation beigetragen hat.
Ich bin übrigens auch kein Journalist, bemühe mich um direkte Quellenangaben und Transparenz. Meine Webseite ist insofern natürlich auch eine alternative Form von öffentlicher Meinungsäußerung.

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