Tages-Kommentare

Moral in der Politik – Was hat die denn da zu suchen?

Als Mitglied der Grünen – Transparenzhinweis – hat man es laut vieler Kommentare besonders mit der Moral. Grüne gelten als moralinsaure Besserwisser, die auf abweichende Haltungen gern mit der Moralkeule drohen oder sie sogar benutzen. Soweit das Klischee, und wie bei vielen Klischees ist da vielleicht sogar etwas Wahres dran. Das macht nicht sympathischer aber was schlimmer ist, es behindert oft einen offenen Diskurs mit Andresdenkenden. Nun bin ich vor allem bei den Grünen, weil ich mit der Partei darin übereinstimme, dass sie essentielle Themen unserer Gesellschaft und der Welt anspricht und nach Lösungen sucht; Umweltzerstörung, Klimawandel, die Gestaltung einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft, Verteilungs- Bildungs- und Geschlechtergerechtigkeit, europäische Zusammenarbeit, alles Themen, an denen es sich zu arbeiten lohnt, und von denen viele meiner Meinung nach von anderen Parteien nicht mit der notwendigen Dringlichkeit angegangen werden. Das Erkennen der Probleme ist aber noch nicht die Lösung, und das öffentliche Ringen um die Lösung erzeugt immer dann Probleme, wenn moralische Argumente in die Debatte eingebracht werden. Warum ist das so?

Argumentiert man mit Moral, so erzeugt man einen hohen Anpassungsdruck. Wer will sich schon vorwerfen lassen, dass er Tiere nicht liebt, auch wenn sie auf seinem Teller landen, das sie das Klima nicht schützt, wenn sie den Verbrenner mit den Kindern sicher zur Schule braust, das er für Gerechtigkeit ist, und gleichzeitig stolz von Steuertricks erzählt. Moralische Argumente ertappen uns bei unserer täglichen Inkonsequenz. Unsere Handlungen werden auf einen normativen Rahmen bezogen, der uns ständig sagt „das macht man eigentlich nicht“. Der Bezug zwischen einer moralischen Einordnung und dem daraus abgeleiteten Handlungen ist aber viel weniger eindeutig, als es das Argument suggeriert. Nur selten sind Dinge gänzlich alternativlos, natürlich konnte man auch ungeimpft durch die Corona-Krise kommen, nur mit einem anderen Risiko für sich und für andere, weswegen man Einschränkungen in Kauf nehmen musste (1).

Was uns Grünen nicht immer in den Kopf will, ist die Tatsache, dass Fakten zunächst völlig amoralisch sind. Sie gehorchen keinen Wertvorstellungen, sie sind einfach. Der CO2 Gehalt der Atmosphäre steigt, wie die Durchschnittstemperatur. Das Artensterben schreitet voran, ebenso die Ungleichverteilung von Reichtum auf der Welt. Aus diesem Fakt folgt aber nicht, dass automatisch ein Lösungsweg vorgeschrieben ist, so sinnvoll und vernünftig er auch sein mag. So tickt der demokratische Apparat leider nicht, dass er rational die Fakten analyisiert und dann final entscheidet. Es ist legitim, die Handlungsweise in Frage zu stellen, sie gesellschaftlich zu diskutieren und eben nicht rational zu entscheiden.

Beharrt man auf der moralischen Position, so erzeugt man beim Gegenüber eher Trotz und setzt sich dem Vorwurf aus, moralische Positionen als „Totschlagargument“ zu benutzen. Das funktioniert übrigens in beide Richtungen. Der Vorwurf, dass der andere mit moralischen Maßstäben an ein Problem herangeht, kann auch als Gegenargument benutzt werden, um die durchaus rationalen Aspekte des Argumentes zu entkräften. Mittlerweile gibt es gleichsam ein Muster, die einen pochen auf die moralische Sichtweise, die anderen sehen jeden Bezug zur Moral als Schwäche. Dieses Schema ist fast noch toxischer als die Einteilung in links und rechts. Ein Argument, das sich auf moralische Grundwerte bezieht ist immer ein Appell, jegliche Zweifel aufzugeben, um für das Gute einzustehen.

Wenn aber die zugrunde liegenden Fakten anders bewertet werden, fühlt man sich zu Unrecht unter Druck gesetzt. Kann eine moralische Position deshalb nicht als Argument dienen? Ich meine nein, aber es lohnt sich eher, basierend auf einem gemeinsamen Faktenverständnis nach übereinstimmenden Zielen zu suchen, ohne die Frage nach dem „Warum“ in den Vordergrund zu stellen. Die Frage “Warum“ wird oft mit moralischen Kategorien beantwortet, die Frage nach dem „Wohin“ und dem „Wie“ können auch ohne  diese Kategorie rein rational diskutiert werden.

Jede Form von moralischer Diskussion erzeugt eine Tendenz zur Emotionalität und eventuell zu Trotz. Vernunft ist aber das einzige Mittel, um in unserer komplexen Wert sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Dazu reicht oft eine simple Kausalitätsbetrachtung nicht aus, da sich viele heutige Probleme nicht mehr durch einfache “wenn-dann“ Beziehungen verstehen lassen. Es gibt dazu immer mehr Untersuchungen (Zum Beispiel das Buch von Maja Göbel „Wir können auch anders“ oder das Buch von Sandra Mitchell „Komplexitäten“ was ich schon in einem anderen Kommentar erwähnt habe). Ein Dilemma der heutigen Lage ist es, dass es deutlich schwieriger ist, in einer Demokratie über systemische Zusammenhänge zu debattieren, denn dazu braucht es viel Zeit, Wissen und Verständnis. Deswegen sind politische Antworten oft sehr vereinfachend und es besteht die Gefahr, bei der Lösung zu simpel zu denken. Die Grünen stehen in dem Ruf, kompliziert und abgehoben zu argumentieren; das könnte auch daran liegen, dass es die einfache und verständliche Lösung in unser verwobenen Welt nicht mehr gibt.

“Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Lösung, und die ist die falsche.”

Umberto Eco, Foucault’s Pendulum

(1) Wenn meine Kommentare jetzt von einer großen Menge gelesen würden, erwarte ich den Einwand „Aber bei der Corona-Infektion hat die Impfung doch gar nicht andere vor der Ansteckung geschützt“. Stimmt, weil die Infektion nicht verhindert wurde, sondern schwere Infektionsverläufe, mithin auch Geimpfte andere anstecken konnten. Aber da diese Daten nicht sofort zu erheben waren, wählte man – ie auch in anderen Situationen eine „Auf der sicheren Seite“ Strategie, gesellschaftlich schon zu verstehen.

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