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Warum sind Kompromisse eigentlich faul?

Kompromisse haben einen schlechten Ruf, man möchte eher ohne sie auskommen und alle vom eigenen Vorschlag überzeugen. Wer Kompromisse eingeht, gibt seinen Standpunkt auf und beugt sich den Argumenten des Gegenüber. Die Demokratie und die im Abstimmungsprozess geführten Debatten werden als Entscheidungsmaschine verstanden, in der die stärkere Fraktion/Koalition letztendlich bestimmt. Spätestens seit den Zeiten der Ampel kann Demokratie nicht mehr so gesehen werden, denn hier waren drei sehr unterschiedliche Parteien gezwungen, gemeinsame Vorschläge abzugeben. Die politische Realität nach den Wahlen sieht so aus, dass wir für sehr wichtige – manche meinen überlebenswichtige – Entscheidungen auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit angewiesen sein werden. Da braucht es Kompromisse.

Eigentlich sollten Entscheidungen in einer repräsentativen Demokratie nicht auf dem kompromisslosen Sieg einer Fraktion beruhen, sondern auf einer Entscheidung, die nach einer sachlich geführten Debatte, in der das Für und Wider erörtert wurde, unter Berücksichtigung von gemeinsamen Werten und einer staatlichen Verfassung, von einer Mehrheit getroffen wurde. Dies gilt natürlich vor allem bei Entscheidungen, die mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit getroffen werden müssen.

Das verlangt sowohl von der Mehrheit, als auch von der Minderheit die Einsicht, dass es sinnvoll sein kann, von seinem ursprünglichen Lösungsweg abzuweichen, um eine bessere Lösung, eben einen Kompromiss zu schaffen. In der Wirtschaft gibt es dazu ein Modell jenseits des „Deal-Making“, das von Ury und Fisher im Buch „Getting to Yes“ ausgestaltet wurde. Ein fauler Kompromiss ist demnach einer, bei dem nicht alle Optionen betrachtet wurden, bei dem nicht um die Lösung, sondern um Positionen gerungen wurde. Ein guter Kompromiss ist einer, der abseits von Positionskämpfen die bestmögliche Lösung für die Interessen beider Seiten erarbeitet hat.

Gute Verhandlerinnen sind deshalb sehr an den Interessen des Gegenübers interessiert, denn aus ihnen ergeben sich, gemeinsam mit der ehrlichen Betrachtung der eigenen Interessen, neue Optionen, die den Lösungsraum erweitern.

Man kann zu mindestens der AfD unterstellen, an dieser Erweiterung nicht interessiert zu sein, weil das politische Handeln dieser Partei darauf abzielt, zu beweisen dass jeder Kompromiss eine Schwäche des Systems ist. Inwieweit die Linke daran interessiert ist, ist schwer zu beurteilen. Die Grünen haben in ihrem Wandel zu einer Regierungspartei bewiesen, dass sie Kompromissfähig sein können. SPD und CDU/CSU – als wohl zukünftige Koalitionspartner haben es einfach, denn sie blicken auf eine gemeinsame Zukunft.

In der Vorbereitung der unter Druck getroffenen Entscheidungen wird sich zeigen, ob unsere Demokratie in dieser kritischen Situation fähig ist, tragfähige Kompromisse über Parteigrenzen zur Entscheidung zu bringen.

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